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Band 15 (2020) – Gender Sex Identität

Doppelheft 1+2, Oktober 2020, 160 Seiten

der Zeitschrift  Hypnose – Zeitschrift für Hypnose und Hypnotherapie  (Hypnose-ZHH)

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Inhaltsangabe und Abstracts

Dirk Revenstorf

Quo vadis Mann?

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 7-26

Man kann Männlichkeit nicht unabhängig von der Beziehung zur Frau verstehen. Es wäre jetzt aber ein Fehler zu versuchen, Männlichkeit als Reaktion auf die derzeitige Selbstermächtigung der Frau zu definieren, so wie sich (umgekehrt) der Feminismus als berechtigte Reaktion auf das Patriarchat bestimmt hat. Die Frage ist vielmehr, was ist die Essenz des Mannes? Man kann nicht darüber hinwegsehen, dass die traditionelle Rolle des Mannes toxisch ist und Frauen in mancher Hinsicht den Männern überlegen sind. Sie ergreifen nicht nur jede Art vormals typisch männlicher Berufe vom Banker über Soldat bis zum Schornsteinfeger. Sie können darüber hinaus Kinder gebären und stillen und sind sexuell potenter als der Mann – können z.B. multiple Orgasmen haben. Was ist die Rolle des Mannes, wenn er eigentlich so gut wie überflüssig erscheinen könnte, wenn man bedenkt, dass Frauen wohl lange Zeit ohne Männer auskommen könnten, was umgekehrt eher nicht der Fall ist? Wie soll es aussehen, dass sich zwei potente Geschlechter in der Fülle begegnen? Damit befasst sich dieser Beitrag. 

Schlüsselwörter: Männlichkeit, Gender, Sexualität, Feminismus

 

Imke Schmincke 

Geschlecht, Körper und Identität zwischen Natur und Kultur: Perspektiven der (soziologische) Geschlechterforschung

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 27-38

Geschlecht und Körper hängen eng zusammen, sie sind jedoch nicht einfach ‚natürliche‘, sondern vor allem auch ‚soziale Tatsachen‘. Der vorliegende Beitrag stellt grundlegende Erkenntnisse der (soziologischen) Geschlechterforschung vor. Geschlecht wird hier als kulturell und sozial konstruiert verstanden, was bedeutet, auf den Einfluss sozialer Normen, Diskurse und Praxen in der Entstehung geschlechtlicher Identität hinzuweisen. Dafür wird zunächst rekonstruiert, dass die Entgegensetzung von Natur und Kultur, die sich auch in der Polarität von Männlichkeit und Weiblichkeit reflektiert, eine moderne ‚Erfindung‘ ist. Die ‚Entzauberung‘ der ‚natürlichen‘ Grundlage der Geschlechterdifferenz hat sich in weiteren Perspektiven der Geschlechterforschung fortgesetzt. Vorgestellt werden die Trennung in sex und gender, der Ansatz des Doing Genders sowie der Ansatz der Macht der Diskurse. Schließlich sollen aktuelle Entwicklungen zu Geschlecht, die neue Bedeutung von Vielfalt in diesem Zusammenhang und deren Politisierung von rechts diskutiert werden.

Schlüsselwörter: Geschlechtsidentität, Körper, Wissenschaftsgeschichte, Doing Gender, Diskurs, Vielfalt

 

Rosemarie Piontek

Der Wirkfaktor Gender im therapeutischen Prozess

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 39-58

Der Wirkung von Geschlechtsrollenstereotypen (GRS) im psychotherapeutischen Prozess wird zunehmend mehr Bedeutung beigemessen. Dabei geht es nicht um die Zementierung traditioneller GRS, sondern um die Dekonstruktion von einengenden weiblicher wie männlicher Stereotype und um die Entwicklung individueller „queer“ Persönlichkeiten mit dem Ziel der Förderung psychischer Gesundheit. Die erworbenen traditionellen GRS stellen jedoch in einem multifaktoriellen Modell einen wichtigen Faktor von Ich-Netzwerken dar. Deshalb spielt Genderkompetenz, das Wissen über die Auswirkungen von GRS auf psychische Gesundheit bzw. Krankheit und die explizite Anwendung von Gender als Analysekategorie auch in Psychotherapien eine wichtige Rolle. Vor dem Hintergrund von Hypothesen über die kognitiv-emotionalen Schemata für die „Bewältigung des Mann- oder Frauseins“ kann ein vertiefender therapeutischer Blick entstehen, beispielsweise auf die Anamnese, Diagnostik und das praktische therapeutische Vorgehen. Als Anwendungsbeispiel für einen möglichen Einstieg über das GRS wird die Geschlechtsrollenanalyse vorgestellt. Weil die therapeutische Beziehung als Wirkfaktor im Zentrum der Psychotherapie steht, möchte ich als Beispiel den Missbrauch dieser Vertrauensbeziehung herausgreifen. In Deutschland erleiden jährlich bis zu 600 Menschen sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie, 90% bis 95% davon sind Frauen. Was könnte das für die therapeutische Beziehung in der Hypnotherapie bedeuten? Einige Fakten und Hypothesen dazu sollen das Problembewusstsein wecken und Prävention fördern.

Schlüsselwörter: Gender, Geschlechterrolle, Gesundheitssystem, therapeutische Beziehung, sexueller Missbrauch

 

Silke Birgitta Gahleitner, Leonore Lerch und Marilena de Andrade

Trauma und Gender – ein Verhältnis mit vielen Perspektiven 

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 59-78

Die Kategorie Gender durchdringt unsere gesamte Biografie. Bis ins hohe Alter bleibt sie jedoch beweglich und veränderbar und ist zudem weder als etwas Eindeutiges und Widerspruchsfreies zu begreifen noch von weiteren komplexen soziopsychischen Dominanzverhältnissen im intersektionalen Gefüge zu trennen. Der Umgang mit der Geschlechtsidentität und den sie umgebenden Machtverhältnissen stellt daher einen wichtigen Mediator für den Behandlungsverlauf tiefgreifender Störungen wie komplexer Traumata dar. Ungleichheits- und Diskriminierungsprozesse sind keineswegs nur außerhalb des psychotherapeutischen Raums verortet. In Forschung und Fachliteratur wird dieser Faktor jedoch erst seit wenigen Jahren stärker berücksichtigt. Der Artikel referiert eine theoriebildende qualitative Studie zum Thema Gender und Trauma und reflektiert die zentralen Ergebnisse mit dem aktuellen Stand von Forschung und Theorie. Einige Praxisanregungen beschließen den Artikel.

Schlüsselwörter: Traumabewältigung, Geschlecht, Psychotherapie, Gendersensibilität, Diversity, Intersektionalität

 

Hannes Gieseler und Hannes Ulrich 

Das Präventionsprojekt Dunkelfeld 

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 79-88

Anstrengungen zur Vorbeugung sexuellen Kindesmissbrauchs wenden sich vorrangig an mögliche Opfer und deren Umfeld. Das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ bietet an allen Standorten die Möglichkeit, mit präventiver Therapie, die potenzielle oder unerkannte tatsächliche Täter einbezieht, Kindesmissbrauch sowie den Konsum von Missbrauchsabbildungen zu verhindern.

Schlüsselwörter: Pädophilie, Kindesmissbrauch, Präventionsprojekt

 

Maria Hagl

Studien zur Wirksamkeit von klinischer Hypnose und Hypnotherapie im Jahr 2019

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 89-108

Im Auftrag der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose e. V. erfolgt jährlich eine Literatursuche zu randomisierten kontrollierten Studien (randomized controlled trials; RCTs) und zu Meta-Analysen, die sich mit der Wirksamkeit von klinischer Hypnose und Hypnotherapie befassen. Im Jahr 2019 wurden 13 neu publizierte randomisierte Studien mit klinischen Stichproben gefunden, die den Einsatz von Hypnose mit einer Kontrollgruppe verglichen haben. Es gibt generell kaum RCTs zu psychischen Störungen, im Jahr 2019 fand sich nur ein einziger. Der Mangel an Studien zu den meisten Indikationen schlägt sich zum Teil in den Meta-Analysen nieder, die häufig relativ unterschiedliche Studien in die Auswertung einschließen, was zu heterogenen und damit klinisch nur schwer interpretierbaren aggregierten Effektstärken führen kann. Die meisten RCTs werden zur Behandlung von körperlichen Beschwerden publiziert, z. B. bei funktionellen Störungen und/oder bei chronischen Schmerzen oder zu Hypnose bei medizinischen Eingriffen. Dieser Trend dürfte sich in den nächsten Jahren fortsetzen, wie die Neuanmeldungen der RCTs in einem internationalen Trialsregister zeigen. Möglicherweise wird als eine der Folgen der Pandemie im Jahr 2020 zukünftig vermehrt zu Interventionsmöglichkeiten geforscht, die sich online durchführen lassen, ein Vorgehen, das bisher bei Hypnotherapie kaum evaluiert wurde.

Schlüsselwörter: Hypnose, Hypnotherapie, Wirksamkeit, Psychotherapieforschung, randomisierte kontrollierte Studien, RCT, Meta-Analyse, Übersichtsarbeit.

 

Michael Teut

„Die Weite in den Körper fließen lassen“. Begleitende hypnotherapeutische Behandlung eines Patienten mit Lähmungen (Tetraparese) nach Sepsis und Spinalabszess. Ein Fallbericht

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 109-123

Die unterstützende hypnotherapeutische Behandlung (22 Sitzungen über insgesamt 18 Monate) eines 67jährigen Patienten, der eine Lähmung beider Arme und Beine (Tetraparese) in Folge einer Staphylokokkensepsis mit Spinalabszess entwickelt hatte, wird dargestellt und diskutiert. Aus Sicht des Patienten war die hilfreichste und am häufigsten zu Hause, selbständig mittels Audioaufnahme praktizierte Hypnose die Red Balloon-Technik zur Lösung von Unruhe, Angst und Missempfindungen. Besonders wohltuend empfand er auch das Erlebnis von Trance an sich. 

Die wichtigste Therapiestrategie aus Sicht des Autors war das hypnotherapeutische Mentaltraining, in dem durch Wiedererinnern alter Bewegungserfahrungen Ressourcen aktiviert, verankert und in den motorischen Trainingsprozess integriert werden konnten. Eine hypnotherapeutische Unterstützung in der neurologischen Rehabilitation ist gemäß Erfahrung des Autors ein sinnvoller und wirksamer Therapieansatz, der weitere wissenschaftliche Untersuchung verdient.

Schlüsselwörter: Hypnotherapie, neurologische Rehabilitation, Lähmung, Tetraparese, Mentaltraining, motorische Imagination, Red Balloon-Technik, Aktiv-Wach-Hypnose

 

Hansjörg Ebell 

„Die große Weide“. Medizinische Hypnose / Hypnose in der Medizin, d.h. Utilisation individueller Fähigkeiten und Möglichkeiten im Kontext eines angemessenen Gesamt-Therapiekonzepts. Kommentar zum Fallbericht von Michael Teut 

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 124-126

 

Björn Husmann

Recherche zum Lebenslauf von Dr. Wolfgang Luthe - ein Beitrag zur Geschichte des Autogenen Trainings

Hypnose-ZHH 2020,15(1+2), 127-139

Im Kontext seines diesjährigen 100. Geburtstages handelt dieser Artikel von der Geschichte des Autogenen Training (AT). Im Mittelpunkt steht Dr. med. Wolfgang Luthe (1922-1985), der ab Anfang der 1960er Jahre einer der maßgeblichen Protagonisten für die Verbreitung des AT in Kanada, den USA, Großbritannien und Japan war. Später erweiterte er die Schultz’schen Standard-Übungen des AT um psychotherapeutisch orientierte Konzepte wie die ‚autogene Abreaktion‘ und die ‚autogene Neutralisation‘. Trotz dieser prominenten Stellung ist über seine persönliche Geschichte, insbesondere hinsichtlich seiner Zeit in Deutschland vor seiner Emigration nach Kanada kaum etwas bekannt. Das war Motivation für eine orientierende Archiv und Literatur-Recherche, deren Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst vorgestellt werden sollen. Ausgehend von basalen lebensgeschichtlichen Eckdaten wird, soweit gegenwärtig durch Archivdaten möglich, Luthes Teilnahme am 2. Weltkrieg skizziert (z.B. NSDAP-Mitgliedschaft, Verwundungen als Wehrmachtssoldat in der sog. Kesselschlacht von Demjansk), ebenso sein Medizinstudium während und nach der NS-Zeit sowie sein Entnazifizierungsverfahren. Es folgen persönliche Eckdaten in Bezug auf die Nachkriegszeit, bisher zu recherchierende Quellen bzgl. Luthes Kooperation mit J. H. Schultz, eine kurze Charakterisierung seiner wissenschaftliche Laufbahn ab den 1960er Jahren sowie eine kurze Darstellung seiner konzeptionellen Beiträge zum AT.

Schlüsselwörter: Wolfgang Luthe, Biografie, NS-Zeit, 2. Weltkrieg, Nachkriegszeit, Geschichte des Autogenen Trainings, autogene Abreaktion, autogene Neutralisation